76. König Ludwigs I. Jugendzeit und Lehrjahre.
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In jenen liederreichen Gauen umschlingt, wie Eichendorff singt, der Frühling Haus und Hof und Wald und alles Gewöhnliche; die Märchen der Vorzeit werden in der Brust lebendig, ein Hauch der Romantik weht überall. Aber auch an ernster Mahnung fehlt es nicht. In diesen gesegneten Tälern wütete ein räuberischer Feind, die Heidelberger Schloßruine erinnert eindringlich genug an Melae und seine Horden.
Solche Tage der Trauer kehrten für die Pfalz gerade damals zurück. Der Krieg gegen Deutschland fand im April 1792 in der Pariser Nationalversammlung berauschte Zustimmung und bald ergossen sich die streitenden Heere über Pfalzbayern, das aus lauge Zeit Schauplatz des Krieges blieb.
Da eine Beschießung der Stadt Mannheim in drohender Aussicht stand, mußte die herzogliche Familie abermals nach Darmstadt flüchten. Der Kriegstumult brachte die düstersten Bilder vor die Augen des Knaben. In den Straßen drängten sich die Flüchtlinge, in ihrem Geleit zogen Unruhen, Schrecken, Verwirrung ein, hinter ihnen loderten alle Greuel eines furchtbaren Krieges auf. Des Prinzen königlicher Pate starb auf der Guillotine. „In welcher Zeit," rief damals Johannes Müller aus, „zu welchen Aussichten hat Gott uns bestimmt! Rasende, wie einst im Tschilminar der trunkene Sohn Philipps, laufen mit Fackeln in der Hand in dem alten Gebäude der Staatsverfassungen umher; da brennt ein Turm auf, dort bricht eine Zinne herab, bald sinkt alles in den Staub!"
Die Wehrkraft des Deutschen Reiches zeigte sich von der kläglichsten Seite. Das gegenseitige Mißtrauen der beiden deutschen Großmächte lähmte alle Unternehmungen, die Regierungen der kleineren Staaten waren ohne Kraft und Energie. Feindlicherseils zeigte die Jakobinerphrase Custiues: „Krieg den Palästen, Friede den Hütten!" bald ihren wahren Wert: die Neufranken pflanzten in der Pfalz ihre Freiheitsbäume nur zwischen Ruinen.
Schon im Jahre 1796 verlor der fürstliche Knabe seine Mutter. Vou
ihr war noch zur Leitung des Unterrichts ein einfacher Landpfarrer berufen worden, Joseph Anton Sambnga, dessen Lehre und Beispiel von dauerndem Einfluß auf den Zögling war. Sambnga hielt sich über seine Unterrichtsstunden und die dabei geführten Gespräche ein Tagebnch, das nach seinem Tode dnrch Sailer veröffentlicht wurde. Diese Aufzeichnungen beweisen, daß der Lehrer nicht bloß als frommer sondern auch als denkender Mann das Bildungswerk förderte. Er bezeichnet selbst als Hanptprinzip seiner Methode, es sollte im Schüler bei allem das Selbstdenken gefordert werden, und diese
Anregung in frühester Jugend ging nicht verloren. Das Streben sich selbst
von allem Erforderlichen zu überzeugen tritt bei den Regierungshandlungen des nachmaligen Königs überall hervor.
Es kann dem Kunstmäzen Ludwig als Hauptverdienst zugerechnet werden, daß bei allen seinen großartigen Plänen zur Förderung der Kunst ein methodischer Zusammenhang zu erkennen ist, der nicht selten bis in die Studien
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Extrahierte Ortsnamen: Deutschland Mannheim Darmstadt
66. Der Übergang des Kurfürstentums Pfalz-Bayern an das Haus Pfalz-Zweibrttcken. 355
müssen, und das einige Gewähr leisten könnte, daß die Würde und die Sicherheit Ihrer Person nicht gefährdet wäre. Ich hoffe, daß es mir gelingen wird in die Hauptstadt zu kommen; sich darin zu behaupten scheint mir alles zu sein, was sich tun läßt, und nicht einmal dies wird sich 24 Stunden lang durchführen lassen, wenn man gegen offene Gewalt anzukämpfen haben wird. Ich slehe Sie an, teurer Herr Bruder, mir für diesen Fall bestimmte Anweisung zu geben, wie weit man im Widerstand gehen soll, denn es handelt sich nicht bloß darum, daß wir nicht als Feiglinge erscheinen, sondern auch daß kein unnützes Blnt vergossen wird." Darauf erwiderte Max Joseph, er müsse die Entscheidung dem König von Preußen überlassen; wenn dieser wie sein Vorgänger für Bayerns Rettung eintreten wolle, sei er für seine Person zu jeglichem Widerstand bereit.
Am 3. Februar 1799 gibt der preußische Geschäftsträger am Münchener Hofe die Zahl der in Bayern und der nächsten Umgebung lagernden österreichischen Truppen auf 55 Bataillons Fußvolk und 81 Eskadrons Reiterei, im ganzen also etwa 80000 Mann, an. Was von der Zuchtlosigkeit dieser Soldateska erzählt werde, übersteige alles Glaubhafte.
Eben noch hatte die Münchener das Gerücht erregt: „Der Kurfürst verläßt demnächst die Stadt, flüchtet nach Wien oder Prag, die Hauptstadt Bayerns kommt unter österreichisches Regiment," da verbreitete sich — am 12. Februar — neue Knude: „Karl Theodor ist vom Schlag gerührt!" Und so war's. Während der Kurfürst mit General v. Hertling L'hombre spielte, trat die Katastrophe ein. Die Ärzte gaben keine Hoffnung. Bei Hofe war man entschlossen den Ernst der Lage so lange wie möglich zu verheimlichen; nur an den Herzog von Zweibrücken ging sofort ein reitender Bote ab. Allein das Gerücht drang doch auch in das österreichische Hauptquartier und Erzherzog Karl entsandte den Grafen Colloredo nach München. Als dieser mit dem österreichischen Botschafter Graf Sailern in der Residenz erschien und den Kranken sehen wollte, wurde ihnen der Zutritt von der Kurfürstin verweigert. Sailern beschwor sie die Hilse des Kaisers anzurufen; sie wies auch diesen Rat zurück.
In den Höfen und Empfangszimmern der Residenz sieht man zwar eine Menge Menschen und feierliche Mienen, doch die Kirchen, wo für die Genesung Karl Theodors Andachtsübnngen gehalten werden, bleiben leer. So wenig ist man bei Hose der Liebe des Volkes sicher, daß an den Herzog Max Joseph die Bitte gerichtet wird, er möge nachts und heimlich in die Stadt kommen; man ahnte, mit welchem Jubel die Bürgerschaft ihren Liebling begrüßen würde, und wollte diese Kränkung des Landesfürsten, des Sterbenden, vermeiden.
Vier Tage lang lag Karl Theodor noch atmend, doch bewußtlos. Am 16. Februar nachmittags 3 Uhr verschied er.
Nun kamen die umsichtigen Bestimmungen der Herzogin Maria Anna und die kluge Verteilung der Rollen doch zur Geltung. „Alles ging am
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Bildungsstufen (OPAC): Sonstige Lehrmittel, alle Lernstufen
Regionen (OPAC): Preußen
Inhalt Raum/Thema: Vaterländische Geschichte
240 Mißhandlungen; Fluchtversuch.
mand mehr sprechen, bin beständig in Lebensgefahr, von lauter Aufpassern umgeben, mir fehlt es selbst an der nöthigen Kleidung, noch mehr an jedem anderen Bedürfnisse, und was mich endlich ganz überwältigt hat. ist der letzte Auftritt, den ich in Potsdam mit dem Könige hatte. Er läßt mich des Morgens rufen; so wie ich eintrete, faßt er mich bei den Haaren, wirft mich zu Boden, und nachdem er seine starken Fäuste auf meiner Brust und auf meinem ganzen Leibe erprobt hatte/schleppt er mich au das Fenster und legt mir den Vorhangstrang um den Hals. Glücklicherweise hatte ich Zeit gehabt, mich aufzuraffen und seine beiden Hände zu fassen; da er aber den Vorhangstrang aus allen Kräften zuzog und ich mich erdrosseln fühlte, rief ich endlich um Hülfe. Ein Kammerdiener eilte herbei und befreite mich mit Gewalt aus des Königs Händen. Ich habe zu viel Ehrgefühl, um eine solche Behandlung auszuhalten, bin aufs Aeußerste gebracht und entschlossen, dem auf die eine oder die andere Weise ein Ende zu machen." Er dachte seitdem ernstlich daran zu flüchten.
Der König, welcher von den Heirathsplänen mit England Nichts mehr wissen wollte, bestimmte seine Tochter jetzt für den Markgrafen von Schwedt und verlangte von seiner Gemahlin und von Wilhelminen unbedingten Gehorsam. Auf den Wunsch der Königin schrieb jedoch Friedrich noch einmal an den englischen Hos, um die Verheiratung seiner Schwester mit dem Prinzen von Wales zu sichern, und betheuerte dabei, daß er selbst keiner Anderen als der Prinzessin Amalie seine Hand geben würde. Als der König den Inhalt dieses Schreibens erfuhr , stieg seine Heftigkeit noch höher; er mißhandelte den Kronprinzen und Wilhelmine körperlich, so oft er sie sah. Nach einem derartigen Auftritte theilte Friedrich seiner Schwester den festen Entschluß mit, sich durch die Flucht einer solchen Behandlung zu entziehen. Zwar kam bald darauf ein englischer Gesandter nach Berlin, um noch einmal über die Heirathsangelegenheit mit dem Könige zu unterhandeln, aber an den Bedingungen, welche England stellte, und an des Königs Heftigkeit zerschlug sich die Sache wiederum, und der Kronprinz, welcher hiermit jede Hoffnung auf eine Besserung seiner Lage verloren hatte, beschloß nun, die erste günstige Gelegenheit zu benutzen, um nach England zu fliehen, wo ihm freundliche Aufnahme zugesichert war. #
Fluchtversuch und Bestrafung. Die Prinzessin Wilhelmine that Alles, um den Bruder von seinem Vorhaben abzubringen, aber er wurde durch erneuerte Mißhandlungen darin noch bestärkt. Bald fand sich eine scheinbar günstige Gelegenheit. Der Kronprinz begleitete seinen Vater auf einer Reise nach Süddeutschland; zwar wurde er dabei auf das Strengste beaufsichtigt, weil sein Vertrauter, der leichtsinnige Lieutenant von Katte, schon in Berlin durch unvorsichtige Andeutungen Verdacht erregt hatte, aber-nichtsdestoweniger versuchte 'der Prinz sein Vorhaben ins Werk zu setzen. Katte, der in Berlin geblieben war, sollte nach der getroffenen Verabredung Urlaub zu einer Werbung nehmen und mit den Geldern, Papieren und Kleinobien des Prinzen voraus nach England gehen. Auch der Lieutenant von Keith in Wesel war mit den Beiden im Einverständnisse. In Anspach erhielt Friedrich einen Brief von Katte, der ihn bat, die Flucht zu verschieben, da er noch keinen Urlaub erhalten habe; der Kronprinz erwiderte aber, er wolle nicht
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Bildungsstufen (OPAC): Sonstige Lehrmittel, alle Lernstufen
Regionen (OPAC): Preußen
Inhalt Raum/Thema: Vaterländische Geschichte
246 Verlobung.
drückte ihm ihre Gefühle der Dankbarkeit so lebhaft aus, daß er sich der Thränen nicht erwehren konnte.
Am folgenden Tage baten sämmtliche in Berlin anwesende Oberoffiziere unter Anführung des alten Fürsten Leopold von Dessau den König, daß er seinen Sohn auch wieder in das Heer aufnehme. Als nun bald darauf bei einer Heerschau der Kronprinz mit dem Könige in Uniform erschien, ließ das Volk seiner Freude in lautem Zurufe freien Lauf.
Noch einmal jedoch kehrte Friedrich nach Küstrin zurück, wo er noch drei Monate mit großer Auszeichnung und zur hohen Befriedigung des Vaters arbeitete. Erst dort in Küstrin entwickelte sich Friedrich's Sinn für ernste Arbeiten; er widmete sich nach und nach den staatswirthschaftlichen Studien mit wahrer Theilnahme und Lust und fing an, eigene Ideen für das Wohl des Staates zu verarbeiten. Auch für das Soldatenwesen entwickelte sich jetzt in ihm eine freiwillige Neigung: er bat den König, ihm eine Compagnie in Küstrin und eine in Frankfurt zu geben, um neben seinen landwirtschaftlichen Beschäftigungen auch dem Dienste zu leben. Der Vater wollte es fast nicht glauben, aber es machte ihn sehr glücklich.
Friedrich's Vermählung. Um Friedrich Wilhelm vollständig zu ver-söhnen, hatte der Kronprinz, wie gesagt, schon lange auf die von der Mutter noch immer eifrig erstrebte englische Heirath verzichtet. Grumbkow hatte ihm heimlich den Rath gegeben, den Wünschen des Vaters entgegenzukommen, welcher vorzüglich seine Vermählung mit der Prinzessin Elisabeth Christine von Brauuschweig-Beveru wünschte. Dieselbe war eine Nichte der Kaiserin, und der österreichische Gesandte hatte insgeheim Alles gethan, um die Absichten des Königs auf sie zu lenken und durch eine solche Verbindung den künftigen Thronfolger enge an das kaiserliche Haus zu knüpfen. Der Kronprinz erklärte an Grumbkow von vorn herein, er sei bereit, die Prinzessin zu heirathen, wenn dieselbe nur nicht albern und gar zu häßlich sei. Grumbkow schilderte ihm nun die Prinzessin, welche mit ihren Aeltern damals in Berlin zum Besuche war, nicht gar Vortheilhaft, damit Friedrich später angenehm überrascht würde, wenn er sie selbst sähe. Der Prinz aber gerieth noch einmal in einen fast verzweifelten Kampf mit sich selber; durch Grumbkow's Brief wurden die schwersten Bedenken in ihm rege. Er besorgte, sich für alle Zukunft an eine Frau zu binden, welche ihm unerträglich werden müßte. Er wünschte sich eine Gattin, welche in den Gesinnungen und geistigen Neigungen mit ihm übereinstimmte, was er von der ihm vorgeschlagenen Prinzessin nicht erwartete. In einer solchen Stimmung schrieb er einen verzweifelten Brief an Grumbkow. Für die Verirrungen seiner Jugend, sagte er, sei er genug bestraft, und wolle nicht die Verpflichtung eingehen, für immer unglücklich zu werden, lieber mache er durch einen Pistolenschuß allen Qualen ein Ende. Gott werde ihn nicht verdammen, wenn er sich von einem unglücklichen Dasein befreie. Grumbkow machte ihm sehr ernste Vorstellungen wegen dieser übereilten und verbrecherischen Gedanken. Zu gleicher Zeit aber kam ein Schreiben des Königs, worin dieser in der Aussicht auf die Heirath den Kronprinzen anwies, seinen Aufenthalt in Küstrin aufzugeben und mit Sack und Pack nach Berlin zu kommen. Die nahe Aussicht auf völlige Befreiung aus der bis-
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Bildungsstufen (OPAC): Sonstige Lehrmittel, alle Lernstufen
Regionen (OPAC): Preußen
Inhalt Raum/Thema: Vaterländische Geschichte
Des Königs Abreise zur Armee. 603
Aber herausgefordert, sind wir entschlossen, gleich unseren Vätern und in fester Zuversicht auf Gott den Kampf zu bestehen zur Errettung des Vaterlandes."
Kurz vor der Abreise versammelte der Monarch die Minister um sich und hielt eine kurze, ernste Ansprache an dieselben. Er wiederholte den Ausdruck seiner großen Freude und Genugthuung über den herrlichen ein-müthigen Geist, der sich während der letzten Wochen im ganzen Vaterlande kundgegeben und von welchem er erhebende Beweise erhalten habe. Diesen Geist zu erhalten und zu beleben, werde die Aufgabe der zurückbleibenden Minister sein, vor Allem wenn, was Gott verhüten wolle, Augenblicke eintreten sollten, wo die Nachrichten vom Kriegsschauplätze ungünstiger lauteten. Preußens Volk und Armee seien durch den beispiellos glücklichen Verlaus der Kriege von 1864 und 1866 einigermaßen verwöhnt, man dürfe nicht annehmen, daß es auch in dem bevorstehenden Kriege ohne unglückliche Tage abgehen werde. Wenn solche eintreten, dann werde sich der Ernst und die Kraft der jetzigen begeisterten Stimmung zu bewähren haben, um den im Felde Kämpfenden und denen, welche sie führen, eine rechte Stütze zu sein.
Als die Stunde der Abreise des Königs kam, waren Tausende und aber Tausende vor dem Palais und auf dem ganzen weiten Wege bis zum Bahnhof versammelt, welche dem verehrten Fürsten auf seinem schweren Gange ein herzliches und begeistertes Lebewohl zuriefen.
„Um 5% Uhr," so wird die Abreise beschrieben, „öffnete sich das Gitter zum Seiteneingang des Palais und der König und die Königin fuhren in dem gewöhnlichen zweispännigen offenen Wagen heraus. Ein vieltausendstimmiges brausendes Hoch und Hurrah empfing den greisen, aber wunderbar rüstigen Helden-König, der mit Gottes Beistand unter den Segenswünschen seines Volkes ins Feld zog. Der König, im Mantel und in der Feldmütze, saß mit ernstem Antlitz im Wagen und dankte durch stilles Neigen des Hauptes auf den jubelnden Zuruf. Die Königin war ersichtlich tief ergriffen. Langsam nur konnte anfangs der Königliche Wagen sich fortbewegen, so dicht stand die Menschenmenge, von der jeder Einzelne noch einmal den geliebten König sehen, ihm ans tiefbewegtem Herzen den Abschiedsgrnß und den Wunsch auf glückliches Wiedersehen zurufen wollte. Ein Menschenstrom, brausend von Liebe und Begeisterung, umwogte Schritt um Schritt das Königliche Paar durch die Straßen zum Bahnhof hin. Mit dem schlichten Wagen des Königlichen Feldherrn zog das Herz des Landes; die einmüthige patriotische Stimmung der Berliner Männer und Frauen, die hier standen, weinten und jubelten, war ein treues Bild des Nationalgefühls. Von den Dächern flaggten die Fahnen, ans den Fenstern wehten die Tücher; zum Himmel auf stieg aus tausend Herzen die Bitte um Sieg und frohe Heimkehr unsers Königs Wilhelm. Auf dem Bahnhöfe harrten des Königlichen Herrn bereits seine Begleiter in diesem heiligen Kampf, sein Bruder und General-Feldzeugmeister, der Prinz Karl, und Mes Dreiblatt, das den König vier Jahre zuvor in den Krieg und die Schlacht begleitete und so Herrliches beitrug zum Gelingen: Bismarck, Roon, Moltke, im Kreis der anderen Generale. Nach dem Abschied
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Extrahierte Personennamen: Ernst Wilhelm Karl Karl Bismarck Roon Moltke
Bildungsstufen (OPAC): Sonstige Lehrmittel, alle Lernstufen
Schulformen (OPAC): Höhere Schule
Inhalt Raum/Thema: Deutsche Geschichte
Geschlecht (WdK): Jungen
Beendigung des Kulturkampfes. — Wirtschaftspolitische Krise 1879 13
Katholiken nicht ohne Grund Wünsche hegen, so muß man sich erinnern, daß Btehreres und Größeres Wir erreicht haben.
Dazu gehört an erster Stelle, daß man in Preußen aufgehört hat, die Gewalt des römischen Papstes in der Regierung der katholischen Kirche als eine ausländische Macht zu betrachten, und daß dafür gesorgt ist, daß sie fortan ohne Behinderung ausgeübt werden kann. Für nicht minder wichtig werdet Ihr es halten, ehrwürdige Brüder, daß den Bischöfen in der Regierung ihrer Diözesen die Freiheit zurückgegeben wurde, daß die Klerikalseminare wieder hergestellt sind, und mehreren religiösen (Drben das Recht zur Rückkehr in die Heimat und die alten Gerechtsame wiedergegeben wurde.
Was die noch übrigen Punkte betrifft, so werden Wir keineswegs in unseren Beratungen eine Zögerung eintreten lassen: und bei dem guten Willen des erhabenen Monarchen und seiner Minister ist sicherlich Grund vorhanden, zu wünschen, daß an dem (Erreichten die deutschen Katholiken sich aufrichten und stärken. Denn Wir hegen nicht den geringsten Zweifel, daß noch Besseres erreicht werden wird."
Ii. Die finanziellen Grundlagen des Reiches.
1. Reichrtagsrede Bismarcks über die Schutzzollpolitik vom 2.lnai J879.1
.. . Das erste Motiv, welches mich in meiner politischen Stellung als Reichskanzler nötigt, für eine baldige und schleunige Finanzreform einzutreten, ist das Bedürfnis der finanziellen Selbständigkeit des Reichs. Dieses Bedürfnis ist bei der Herstellung der Reichsverfaffung schon anerkannt worden. Die Reichsverfassung setzt voraus, daß der Zustand der Matrikularbeiträge ein vorübergehender sein werde, welcher so lange dauern solle, bis Reichssteuern eingeführt wären. Ich gehe nicht so weit wie der Abg. Miquel, welcher die Matrikularumlagen in dem verfassunggebenden Reichstag gleichbedeutend mit der finanziellen Anarchie in ganz Deutschland genannt hat; aber gewiß ist, daß es für das Reich unerwünscht ist, ein lästiger Kostgänger bei den (Einzelstaaten zu sein, ein mahnender Gläubiger, wahrend es bei richtiger Benutzung der Quellen, zu welchen die Schlüssel durch die Verfassung in die Hände des Reichs gelegt, der freigebige Versorger der (Einzelstaaten sein könnte.
Diesem Zustand muß ein Ende gemacht werden, denn die Matrikular-Umlage ist ungleich und ungerecht in ihrer Verteilung; 30 000 oder, wie der Abg. Miquel sagte, 100000 Bewohner von Thüringen oder Waldeck können nicht ebensoviel bezahlen an Matrikularbeiträgen wie 30 000 oder 100000 Bewohner von Bremen oder Hamburg. Die Konsoliöa-
1 horst Kohl, a. a. ®. Viii, S. 14ff.
(Quciienfammlung I,16:Branöenburg«Rü^Imann,3m neuen Deutschen Reich Z
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90 Die Tilsiter Nüssen tage.
Nun zogen in langen Reihen die übrigen deutschen Regimenter in die zurückeroberte Stadt ein. Wir alle waren natürlich längst in der Königsberger Straße, durch die der Einmarsch stattfand. Die Königsberger Straße heißt jetzt Clausiusstraße nach dem General, der Tilsit befreit hat.
Das Gefühl zu schildern, das uns bewegte, ist unmöglich; das muß man miterlebt haben. Der Jubel der Bevölkerung stieg ins Endlose. Im Nu flatterten überall die deutschen Fahnen, von allen Türmen läuteten die Glocken. -Wie anders erklangen sie nun als vor sechs Wochen!
Viktor v. Strantz, „Im Kampf gegen die Nuffen 19h 15."*)
2. Wie die Berliner Landwehrleute als Befreier Tilsits begeistert empfangen werden.
Ein paar kleine Mädchen kommen freudestrahlend atemlos angelaufen mit Gesichtern, wie wir sie in diesem Glanze und mit so verklärten Augen noch nie im Leben gesehen haben. Sie rufen: „Die Österreicher sind da!" Und richtig, zu beiden Seiten der Straße tauchen Helme auf. Es sind nicht die Österreicher, die wir auch freudig begrüßt hätten, sondern preußische Landwehrinfanteristen, alles Berliner und Märker. Fast atemlos vor Staunen lassen wir die ersten Preußen an uns vorüberziehen, um uns zu überzeugen, ob es denn nun auch wirklich wahr ist, was sich vor unsern Augen abspielt. Dann aber, als die Scharen der einrückenden Verfolger immer dichter werden, fängt ein Jubeln, ein Jauchzen an, das mit Worten zu schildern fast unmöglich ist.
Junge Mädchen, alte Frauen, Kinder, gereifte Männer, alles, alles läuft den Befreiern vom russischen Joch entgegen. Jeder möchte die Hand der ersten erfassen, sie drücken und schütteln und bedenkt in all der Freude gar nicht, daß die Truppen ja auf der Verfolgung begriffen sind und keine Zeit zu verlieren haben. Ein heiliger Zorn erfüllt sie, die fliehenden Russen zu erreichen, der sich einfach nicht schildern läßt.
Blumen in ungezählten Mengen fliegen unsern braven Vaterlandsverteidigern zu. Man kann nicht genug staunen, woher so schnell all diese riesigen Mengen von Blumen kommen. Aus allen Häusern eilen Frauen, Männer und Kinder heraus, um den anrückenden Preußen -Wasser, Bier, andere Getränke, Wurst, Brötchen und Schokolade zu reichen. Es geschieht das in einer solchen Menge, daß die über diesen beispiellosen begeisterten Empfang gerührten Soldaten lachend und manche vielleicht auch mit einer Freudenträne im Auge schließlich dankend ablehnen. „Tilsit. Ztg."
3. Wem hat Tilsit die Erhaltung der Stadt zu danken?
Die Aufrechterhaltung der Ruhe und Ordnung und die Erhaltung der Stadt ist vor allem das Verdienst des Oberbürgermeisters Pohl, sowie des Bürgermeisters Robde und der anderen Äagistratsmitglieder, besonders auch des Stadtrats Teschner. Sie alle haben treu auf ihren Posten ausgeharrt uno nach Kräften das -Wohl der Stadt gefördert.
*) Vaterländische Verlagsanstalt Wilhelm Köhler. Minden i. W. Preis 90 Pf.
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Extrahierte Personennamen: Viktor_v Viktor Pohl Wilhelm
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Im Jahre 1810 traf den Prinzen Wilhelm das herbste Leib; er verlor seine so heigeliebte Mutter. Tiefbetrbt kniete er an ihrem Sterbelager und benetzte die erfaltenbe Hand der Entschlafenen mit bit-teren Trnen. Dann ging er in den Garten, wand aus Eichenlaub und Rosen einen Kranz und legte ihn auf das Totenbett feiner Mutter.
Beim Beginne des groen Befreiungskrieges wollte auch der Prinz Wilhelm seinen Arm der gerechten Sache widmen; weil er jeboch zu schwchlich war. brste er an den ersten Kmpfen nicht teilnehmen. Als er aber das Schlachtfelb von Leipzig besuchte und von den Helbentaten der Freiheitskmpfer hrte, ba hielt den 16jhrigen Jngling nichts mehr zurck. Er trat in das Heer und zeigte sich besonbers in der Schlacht bei Bar sur Anbe als ein mutiger und unerschrockener Solbat. Geschmckt mit dem Eisernen Kreuze und dem russischen St. Georgs-orbeu kehrte er nach Hanse zurck.
Als der Krieg gegen Napoleon im Jahre 1815 von neuem losbrach, eilte Prinz Wilhelm sofort wieber zu den Fahnen, zog mit nach Frankreich und nahm auch an dem zweiten Einzge der Verbnbeten in Paris teil.
Nach biefer Zeit wibmete er sich ganz und gar dem Militrwesen; er war mit Leib und Seele Solbat. Eine natrliche Begabung fr den kriegerischen Beruf, dazu die eifrigste Beteiligung an allen Zweigen des Dienstes lieen den Prinzen rafch zu den hchsten Stellen im Heere emporsteigen.
Im Alter von 32 Jahren vermhlte sich Wilhelm mit der Prin-zessin Augusta von Sachsen-Weimar. Seinen Lieblingsaufenthalt nahm das hohe Paar zeitweife auf dem Schlffe Babelsberg (bei Potsdam). Die glckliche Ehe wurde mit zwei Kindern gesegnet, einem Sohne und einer Tochter. Der Sohn war der nachmalige Kaiser Friedrich Iii., die Tochter Luise wurde die Gemahliu des Groherzogs von Baden.
2. Der Prinz von Preußen. Nach der Thronbesteigung seines Brubers, beffen Ehe kinberlos geblieben war, erhielt Prinz Wilhelm als mutmalicher Thronfolger den Titel Prinz von Preußen". Seinem kniglichen Bruder, von dem ihm schon Mb die Oberleitung der das gesamte preuische Heerwesen bertragen wrbe, war er vor allem in militrischen Angelegenheiten eine vortreffliche Sttze. Beim Ausbruche der franzsischen Februarrevolution im Jahre 1848 ernannte ihn der König zum Militrgouverneur von Rhein-land und Westfalen. In den unruhigen Mrztagen dieses Jahres
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Extrahierte Personennamen: Wilhelm Eichenlaub Wilhelm Napoleon Prinz_Wilhelm Wilhelm Wilhelm Friedrich_Iii Friedrich Luise Prinz_Wilhelm Wilhelm
Extrahierte Ortsnamen: Leipzig Frankreich Paris Sachsen-Weimar Babelsberg Potsdam Baden Rhein-land Westfalen
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Extrahierte Personennamen: Marlborough Ludwig Ludwig Ludwig Ludwig Philipp_von_Anjou Philipp Peter_Corneille Moliere Boileau Bayle Ludwigs Ludwigs Ludwig Ludwig Maria_An-
na_von_Baiern Maria Philipp_von_Anjou Philipp Karl Karl Berry Telemach Maria_Adel Maria
Extrahierte Ortsnamen: Tallard England Frankreich Paris Europa's Ludwigs_Xiv Burgund Spanien Burgund
400
Dritte Periode der Neuzeit.
deln können, ohne seinem Charakter ungetreu und an seinem Volke zum Verräter zu werden. Wie dieses stärkt, kann nur der fühlen den wahres Ehrgefühl durchströmt. Doch zur Sache.
Durch die unglückliche Schlacht von Friedland kam Königsberg m französische Hände. Wir sind vom Feinde gedrängt, und wenn die Gefahr uns etwas näher rückt, so bin ich in die Notwendigkeit versetzt, mit meinen Kindern Memel zu verlassen. Der König wird sich wieder mit dem Kaiser vereinigen. Ich gehe, sobald dringende Gefahr eintritt, nach Riga; Gott wird mir helfen, den Augenblick zu bestehen, wo ich über die Grenzen des Reiches muß. Da wird es Kraft erfordern; aber ich richte meinen Blick gen Himmel, und mein fester Glaube ist, er schickt nicht mehr, als wir tragen können. Noch einmal, bester Vater, wir gehen unter mit Ehren, geachtet von Nationen, und wir werden ewig Freunde haben, weil wir sie verdienen. Wie beruhigend dieser Gedanke ist, läßt sich nicht sagen. Ich ertrage alles mit einer solchen Ruhe und Gelassenheit, die nur Ruhe des Gewissens und reine Zuversicht geben kann. Deswegen seien Sie überzeugt, bester Vater, daß wir nie ganz unglücklich sein können, und daß mancher mit Kronen und Glück bedrückt nicht so froh ist, als wir es sind. Gott senke jedem Guten den Frieden in seine Brust, und er wird noch immer Ursache zu Freude haben. Noch eins zu ^zhrem Troste, daß nie etwas von unserer Seite geschehen wird, das nicht mit der strengsten Ehre verträglich ist, und was mit dem Ganzen geht. Denken Sie nicht an einzelne Erbärmlichkeiten. Auch Sie wird das trösten, das weiß ich, sowie alle, die mir angehören. Ich bin auf ewig Ihre treue, gehorsame, Sie innig liebende Tochter und Gottlob, daß ich es sagen kann, da Ihre Gnade dazu mich berechtigt,
Ihre Freundin Luise."
8. Die Königin Katharina von Württemberg. Eine ganz vorzügliche Mutter des Landes war auch Katharina Paulowna, eine geborne Großfürstin von Rußland, die Gemahlin des Königs von Württemberg. Ihre mitleidige, fromme und gute Seele half der Armut auf, welche durch die Drangsale des Krieges und durch eingetretenen Mißwachs hoch gestiegen war, und trieb sie an, alle gefühlvollen Seelen Württembergs, besonders aber die Frauen als den Teil der menschlichen Gesellschaft, dessen vorzüglicher Beruf es ist, im Leben zu helfen, zur Mitwirkung aufzufordern. Willig folgten Männer und Frauen der Aufforderung ihrer ediert Landesmutter, und der auf diese Weise entstandene Wohlthätigkeitsverein be-
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